Historie

Breidings Großer Garten

Historische Ansichtskarte
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts öffnete Johan Diderich Röders ein Ladengeschäft für Kolonial- und Manufakturwaren in der Marktstraße des kleinen Städtchens Soltau in der Lüneburger Heide.

Er entstammte einer Bürgerfamilie, die seit Jahrhunderten dort ansässig war. Als er 1816 in frühem Alter verstarb, hinterließ er einen fünf Jahre alten Sohn mit Vornamen August.

Seine Witwe heiratete zum zweiten Mal einen Freund des Hauses, Carl Breiding, der das Geschäft unter seinem Namen weiterführte. Als sein Stiefsohn August Röders 1836 volljährig geworden war, nahm er ihn als Teilhaber in sein Geschäft auf, das in Carl Breiding & Sohn umbenannt wurde.

August Röders war ein sehr dynamischer und vorwärtsdrängender Kaufmann. Mit 23 Jahren brachte er von einem Besuch der Leipziger Messe die Idee mit, Bettfedern zu verkaufen, die später auch industriell bearbeitet wurden. Bei einem zweiten Messebesuch bekam er die Anregung, Filzschuhe herzustellen, deren Produktion er 1847 begann.

Um 1850 kaufte August Röders eine sumpfige Fläche in der Nähe Soltaus in Nachbarschaft zu dem kleinen Flüsschen Böhme. Er veränderte sie für seine Familie zu einer Gartenanlage mit einem kleinen Landhaus darauf. Es war der Beginn von „Breidings Großem Garten“.

August Röders hatte fünf Söhne, die alle in die Firma eintraten. Sie war zu einem weltweiten Unternehmen gewachsen. Zu den Bettfedern kamen neue Geschäftsfelder hinzu, Fruchtwein sowie Filz- und Lederschuhe. Neue Firmen und Niederlassungen wurden gegründet in Prag, Berlin, in Saraysk (Russland) und  Moskau sowie in China in Hongkong, Hankow, Kanton, dem heutigen Guangzhou, und später in Wien. In Shanghai wurde eine Fabrik gebaut und ebenso in Amerika in Newark. In der Blütezeit des Unternehmens wurden weltweit 1600 Mitarbeiter beschäftigt.

Die fünf Söhne wuchsen heran, vier gründeten neue Familien mit einer stattlichen Anzahl Kinder. Die bisherige Gartenanlage und das Landhaus mussten wegen der sich vergrößernden Familie erweitert werden. Was klein begonnen hatte, entwickelte sich zu einem 12 ha großen Park mit einer geräumigen Villa im italienischen Stil. 1870 wurde eine Burgruine am Rande eines der Teiche errichtet, an der auch heute noch gerne Besucher des Parks verweilen. 

Bootsfahrt im Park

Jeweils eine Familie bezog im Sommer das vergrößerte Landhaus und lud an Sonn- und Feiertagen die anderen Familien zu sich ein. Durch diesen Brauch wurde das Anwesen zum Mittelpunkt für die nun große Familie. Hier versammelte sie sich, hier wurden die Ereignisse in den Familien besprochen und wichtige geschäftliche Entscheidungen gefällt.

Gruppenbild, vor der Ruine am Teich

Das Ensemble diente auch der Repräsentation. So quartierte sich Prinz Albrecht von Preussen, Neffe des alten Kaiser Wilhelm des Ersten, wenn er durch Soltau kam, bei August Röders, mit dem er bekannt geworden war, in Breidings Garten ein.

Im Jahr 1888 starb August Röders, dem auch der Titel Kommerzienrat verliehen war.

Sein jüngster Sohn, Wilhelm Röders, gestaltete die ursprünglich im Jugendstil geplante Anlage in einen Landschaftsgarten um, in dem heute die vielen großen Rhododendren bei jedem Besucher einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen. Das Ensemble ist kein Guts- oder Schlosspark mit hohem Anspruch. So fehlt die große Auffahrt. Breite Alleen gibt es nicht, sondern im Verhältnis zur Größe des Objekts ungewöhnlich schmale Wege, die, wie Dr.-Ing. Rainer Schomann vom Landesamt für Denkmalpflege schreibt, Individualität und Intimität geradezu heraufbeschwören.

Familienfoto vor der Villa

Die Gegenwart

In einer Stellungnahme von 2009 des Referats Bau- und Kunstdenkmalpflege des Landesamts für Denkmalpflege findet sich wörtlich zitiert folgende Bewertung von Dr.-Ing. Rainer Schomann:

„Das Ensemble Breidings Großer Garten ist mit seinen Haupt- und Nebengebäuden sowie dem Garten mit all seinen vegetabilen und baulichen Gestaltungselementen aufgrund einer historischen, künstlerischen, wissenschaftlichen und städtebaulichen Bedeutung Kulturdenkmal im Sinne des Niedersächsischen Denkmalschutz-gesetzes. Es handelt sich dabei um ein herausragendes Beispiel für einen Objekttypus, der in dieser Form und Qualität nach heutigem Kenntnisstand im überregionalen Vergleich eine singuläre Stellung einnimmt.“

Die Firma Carl Breiding & Sohn, die Breidings Garten finanziert hatte, überlebte die großen durch die Weltkriege und folgenden Krisen entstandenen Verluste nicht. 2005 meldete sie Konkurs an. Breidings Garten befand sich in ihrem Besitz und wurde Teil der Konkursmasse.

Soltauer Bürger gründeten 2007 den Verein Breidings Garten e.V., um die stark verwilderte Parkanlage zu retten, auch durch Eigenleistung seiner Mitglieder, soweit die Kräfte und die begrenzten finanziellen Mittel es zuließen. Auch heute leistet er einen sehr verdienstvoller Beitrag und organisiert sehr beliebte Veranstaltungen verschiedener Art, die ein Anziehungspunkte für eine große Besucherzahl sind.

Die Wiederherstellung der Gesamtanlage forderte jedoch einen höheren Preis. Besonders das durch unterbliebene Reparaturen stark beschädigte Landhaus war von totalem Verfall und Abriss bedroht. Aber auch für den Park schien der Verkauf für eine Aufsiedelung eine realistische und letzte Alternative zu sein.
Um diese Bedrohungen abzuwenden, gründeten die Stadt Soltau, die Volksbank Lüneburger Heide e.G. sowie die Herren Hinrich und Eckhart Röders im Jahr 2008 die „Stiftung Breidings Garten“. Sie kaufte die Villa und den größten Teil der Parkanlage zu einem Preis von € 260.000,- aus der Konkursmasse. Die Gründer hatten ebenso wie die Mitglieder des Vereins erkannt, welch einerhaltenswertes Juwel die Stadt Soltau in ihren Mauern hat. Es schien, dass damit der erste Schritt zur Rettung getan sei.

Das Vorhaben, Breidings Garten zu restaurieren war aber mit sehr hohen Kosten verbunden und setzte viel Mut voraus. Auch für die Deckung des späteren Erhaltungsaufwands musste eine Finanzierungsmöglichkeit gefunden werden. Der Verfall ging zunächst weiter. Nässe und Frost taten ihr Werk. Der bisherige Renovierungsaufwand überschreitet eine Million Euro deutlich.
Davon wurden fast 70% durch private Spender aufgebracht, für eine kleine Stadt eine sehr beeindruckende Summe, die deutlich macht, was eine Bürgerinitiative leisten kann.

Am 25. Mai 2022 wurde die Villa für Veranstaltungen, wie Konzerte, Trauungen, Tagungen, Vorträge, Ausstellungen und dergleichen freigegeben, nachdem eine größere Fläche schon vorher gewerblich vermietet werden konnte. Die bisherigen Besucher sind von Breidings Garten ausnahmslos begeistert. Auch die Leser dieser Seite sind herzlich eingeladen, sich an „diesem schönen Stückchen Erde“, wie es ein Besucher aus Lüneburg nannte, zu erfreuen.

Hinrich Röders, 30.05.2022